Bericht über die Reise der Aphasiker und Angehörigen
vom 9. bis 12. September 2018 nach Herrnhut in der Oberlausitz
Am Sonntag, dem 9. September 2018, trafen sich 32 Aphasiker mit Angehörigen, davon fünf im Rollstuhl, um 9.30 Uhr zur Abfahrt vor dem Reisebüro für barrierefreies Reisen der Fürst-Donnersmarck-Stiftung in der Blissestraße.
Wir fuhren mit dem Reisebus für barrierefreies Reisen der Firma Uhlenköper-Reisen aus Uelzen.
Wie jedes Jahr wurden wir geleitet von Frau Christine Busch sowie von dem Historiker Herrn Andreas Chevallerie als Fahrer. Wir wurden außerdem begleitet von einer Reisehelferin. Alle drei halfen den besonders behinderten, allein mitreisenden Aphasikern, die während der Reise notwendigen Tätigkeiten zu bewältigen.
Gegen 15 Uhr kamen wir in Herrnhut an. Wir wurden im Gäste- und Tagungshaus Komensky der Evangelischen Brüdergemeine Herrnhut empfangen. Dort bezogen wir unsere Zimmer. Alle drei Übernachtungen fanden im Haus Komensky statt. Um 16 Uhr trafen wir uns zu einer kleinen Wanderung mit Führung durch die Herrnhuter Brüdergemeine. Die Pfarrerin ging mit uns auf Feldwegen zum „Gottesacker“, auf dem sich ein historischer Friedhof befindet. Dort sind circa 6000 Menschen bestattet, die der Gemeine angehörten. Die Wurzeln der Herrnhuter Brüdergemeine liegen in der tschechischen Reformation mit Jan Hus. Ab 1457 entwickelte sich daraus die Brüder-Unität, eine der ersten evangelischen Kirchen in Europa. Glaubenflüchtlinge aus der tschechischen Kirche fanden im Jahr 1722 Aufnahme bei Graf von Zinzendorf und gründeten die Siedlung Herrnhut.
Bei unserem anschließenden Spaziergang durch den Ort Herrnhut sahen wir das Denkmal, eine Statue von Graf von Zinzendorf. Die Kirche von Herrnhut wurde am 9.Mai 1945 durch Brandstiftung zerstört. Bis 1956 wurde die Kirche wieder aufgebaut. Wir besichtigten die Kirche, und die Pfarrerin bewirtete uns und erzählte uns weitere Einzelheiten über den Kirchenbau.
Um 18 Uhr gab es bei Komensky Abendbrot, und wir saßen bei herrlichem Spätsommerwetter noch im Freien auf einem Hof des Komensky-Hauses gemütlich beisammen.
Am 2. Tag führen wir nach dem Frühstück um 10 Uhr nach Görlitz. Herr Chevallerie erzählte uns, dass man Görlitz gelegentlich als „Schönste Stadt Deutschlands“ bezeichnet.
Im 2. Weltkrieg wurde zu von Zerstörungen fast völlig verschont. Wir nahmen an einer Führung in zwei Gruppen teil. Görlitz ist die östlichste Stadt Deutschlands. Sie wird auch „Görliwood“ genannt, weil hier viele bekannte Spielfilme gedreht wurden, zum Beispiel „Der Vorleser“ nach dem Roman von Bernhard Schlink, eine amerikanische Verfilmung.
Görlitz hat ein zauberhaftes mittelalterliches Stadtzentrum. Es würde zu weit führen, hier alle Sehenswürdigkeiten von Görlitz zu nennen. Das sind einfach zu viele. Diese Stadt ist mehr als sehenswürdig. Man muss einfach mal dort gewesen sein und alles angeschaut haben. Wir haben nur das Stadtzentrum gesehen, also einen Bruchteil, wahrscheinlich den schönsten.
Görlitz liegt am Fluss Lausitzer Neiße, der östliche Teil gehört zu Polen und heißt Zgorzelec. Im Jahre 2004 wurde eine Fußgängerbrücke von Görlitz nach Zgorzelec eröffnet. Viele Bezeichnungen in Görlitz sind in deutscher, englischer und sorbischer Sprache. In der Lausitz leben die Sorben. Sie sind die einzige nationale Minderheit Deutschlands mit einer eigenen Sprache.
Nach der Führung hatten wir Zeit, uns in der Fußgängerzone der Innenstadt umzuschauen. Wunderschöne Cafés und die Einkaufsmeile ließen keine Langeweile aufkommen.
Nach einem erlebnisreichen Tag saßen wir nach dem Abendbrot in Herrnhut wieder auf dem Hotelhof beisammen.
Der 3. Tag weckte uns wieder mit Sonnenschein. Wir fuhren nach Ostrich zum Kloster St. Marienthal, unweit von Herrnhut gelegen. Das Kloster besteht aus einer riesengroßen Klosteranlage. Es hat eine eigene Bushaltestelle, eigenen Briefkasten, Klostermarkt, Weinberge und eine Brauerei.
Wir nahmen an einer mehrstündigen Führung durch die Klosteranlagen teil. Das Kloster wurde im Jahre 1234 durch Kunigundis von Böhmen gegründet. Der Grundbesitz wurde den Nonnen des Zisterzienserordens als Sühnestiftung geschenkt. Dieses Kloster ist seit 784 Jahren ununterbrochen als Nonnenkloster in Betrieb, und damit das älteste Kloster in ganz Deutschland. Es hat verständlicherweise eine wechselvolle Geschichte. Im Jahr 1833 wurde durch einen verheerenden Brand der größte Teil der Klosteranlage zerstört. In den Folgejahren wurde alles wieder aufgebaut. Eine weitere große Katastrophe war das Hochwasser im Jahre 2010. Alle Gebäude standen außen und innen unter Wasser.
Jetzt besteht die Gefahr einer möglichen Schließung des Klosters, das der Nachwuchs an Nonnen fehlt. Das Durchschnittsalter der Nonnen ist 68 Jahre. Jede muss beim Beginn des Lebens als Nonne das Gelöbnis ablegen: Armut, Gehorsam, Keuschheit, Beständigkeit. Der Dienst ist anstrengend und ausschließlich auf Gott gerichtet.
Die „Deutsche Bundesstiftung Umwelt“ ist hier stark integriert. 1992 wurde hier im Kloster ein internationales Begegnungszentrum gegründet.
Die Begegnung findet vor allem mit Polen und Tschechen statt.
Nach einem gemeinsamen Mittagsimbiss im Garten der uralten Fachwerk-Klosterschenke im Schatten von 4 hundertjährigen Eichen hatten wir eigentlich die Absicht, mit unserem Bus wieder zurück nach Herrnhut zu fahren, um dort die Sterne-Manufaktur zu besichtigen. Aber es kam anders: Unser Bus streikte - die Hinterräder saßen in einer Bodensenke fest. Nach vielfältigen telefonischen Bemühungen durch Herrn Chevallerie und Frau Busch kam nach fast drei Stunden ein Bergungsauto vom ADAC und befreite den Bus aus der Schieflage, so dass wir wieder fahren konnten.
Die Wartezeit bis dahin war angenehm. Wir überbrückten sie mit Spaziergängen in der herrlichen Natur-Umgebung des Klosters sowie Einnahme von Getränken im Garten der Klosterschenke.
Als wir im Komensky-Haus in Herrnhut ankamen, waren wir im Hotelhof zu einem wunderbaren Grillabend bei bestem Sommerwetter eingeladen.
Es gab reichlich Fleisch, was wir an den zwei vorigen Abenden vermisst hatten.
Der 4. und letzte Tag begann nach dem Frühstück und dem Verstauen unseres Reisegepäcks im Bus mit dem Besuch der Sterne-Manufaktur Herrnhut. Das ist eine Schauwerkstatt. Die Sterne werden dort ausschließlich in Handarbeit (Manufaktur) angefertigt. Wir durften einigen Beschäftigten direkt bei der Arbeit zuschauen, und erleben, wie so ein Stern entsteht. Auch eine kleine Filmvorführung fand statt. Vor über 160 Jahren wurden im Schloss der Herrnhuter Brüdergemeine die ersten Sterne als Ursprung aller Weihnachtssterne hergestellt und leuchteten in den Internatsstuben.
Heute kann man diese Sterne ab Beginn der Adventszeit in fast jeder christlichen Kirche in Deutschland bewundern. Advent bedeutet „Ankunft“.
Der Stern symbolisiert den „Stern von Bethlehem“, der die Geburt von Jesus Christus verkündete. Diese Sterne werden ausschließlich in Herrnhut hergestellt. Von hier aus werden sie in viele Länder der Erde exportiert. Auch wir haben vor Ort solche Sterne käuflich erwerben können.
Anschließend fuhren wir nach Pulsnitz. Unser Ziel war die Helios-Klinik im Schloss Pulsnitz. Das ist eine Fachklinik für Neurologisch-Neurochirurgische Rehabilitation. Nach einer Begrüßung mit Kaffee und Kuchen wurden wir zu einem Vortrag eingeladen. Frau Antje Lohse, Logopädin und Fachtherapeutin für Dysphagie und für Trachealkanülen-Management, begrüßte uns. Sie ist Leiterin des Therapiezentrums. Die Therapie beinhaltet sowohl die klinische (stationäre) als auch ambulante Versorgung der Patienten. Die Patienten erhalten Logopäde, Psychotherapie, Ergotherapie, Arbeitserprobung sowie Präventionskurse. Und es erfolgt nach der Akutklinik eine nahtlose Weiterbehandlung der Patienten.
Frau Kretschmann, eine studierte Marketing-Verantwortliche, hielt für uns eine Powerpoint-Präsentation. Wir durften anschließend Fragen stellen, die fachgerecht beantwortet wurden. Nach einem geführten Gang durch das Gelände der Klinikanlage war unser Besuch beendet.
Den Abschluss unseres Aufenthalts in Pulsnitz bildete der Besuch des Pfefferkuchen-Museums. Wir erlebten eine Führung mit, und wir erfuhren, dass die „Pfefferküchlerei“ eine schwere körperliche Arbeit ist. Der Teig enthält keinen Pfeffer, aber sehr viele orientalische Gewürze, und er muss nach Fertigstellung mindestens ein viertel Jahr lagern. Erst dann wird er gebacken. Zum Schluss hatten wir Gelegenheit, verschiedene Lebkuchen käuflich zu erwerben, und die „Fans“ machten davon lebhaft Gebrauch.
Danach fuhren wir im Bus nach Berlin zurück und kamen pünktlich vor 18 Uhr in Berlin in der Blissestraße an.
Ein Dank gebührt allen Helfern, die zum Gelingen dieser unvergesslichen Reise beigetragen haben.
Margaret Voigt